Born in Eythra

2013

Mehr-Kanal-Video Installation, 12 Videoportraits auf 5 Monitoren, HD, 16:9, 4 Audiospuren.
Multi-channel-video installation, 12 video portraits on 5 monitors, HD, 16:9, 4 audio tracks.

»Die Künstlerin Angelika Haak fügt in ihrer Videoinstallation »Born in Eythra“ Kunst und Oral History zusammen. Sie thematisiert in ihrer Arbeit das Verschwinden ganzer Ortschaften durch den Tagebau und die damit verbundene Umstellung einer über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaft. Spricht man Zeitzeugen und Bürger der ehemaligen DDR auf einprägsame Ereignisse des untergegangenen Staates an, sind diese meist mit langen Warteschlangen vor der HO, dem Besuch im Intershop, genügsamer und wilder Kindheit, Urlaub an der Ostsee und das Befeuern der Ofenheizungen in den Wintermonaten umrissen. Letzteres hatte seine Gründe. Beinahe die gesamte Energieversorgung der ehemaligen DDR fußte auf der Grundlage fossiler Brennstoffe. Der Bedarf dafür war riesig. Denn es wurden nicht nur einzelne Haushalte, sondern auch die gesamte Schwerindustrie und Infrastruktur durch devisenfreie Stein- und Braunkohle mit Energie aus eigener Produktion versorgt. Zahlreiche Tagebaurestlöcher zeugen heute von diesem Raubbau, in deren Vorantreiben Städte und ganze Ortschaften von der Landkarte verschwunden sind. Angelika Haak greift diese Thematik auf, indem sie exemplarisch zwölf ehemalige Bewohner der nicht mehr existenten Ortschaft Eythra bei Leipzig fotografisch portraitierte und in ihrer Installation zu Wort kommen lässt. Analog zum subjektiv erfahrbaren Phänomen der Erinnerung, bewegen sich die zunächst scheinbar starren Gesichter. Die Erfahrungen der Bewohner, die der Betrachter zugleich via Audiostation abrufen kann, erhöhen den Grad der Identifikation mit dem präsentierten Personenkreis. Somit werden für die Rezipienten freudige Erinnerungen, Trauer, Wut und Frust als intensive Erfahrung des kommunikativen Gedächtnisses erlebbar.«
Stephan Frank, Katalog Ostrale ‘O13

Die Arbeit »Born in Eythra« spürt dem Zusammenspiel von Erinnerung, Verlust, Identität und Verwurzelung nach. In den Videosequenzen werden Personen portraitiert, deren Geburtsort unwiderruflich verschwunden ist und die gleichsam eine Entwurzelung erfahren haben. Der Ort Eythra existiert nur noch in der Erinnerung und wird über das Erzählte wieder lebendig. In der Gegenüberstellung der Videoportraits und der gesprochenen Erinnerungen und Erzählungen wird ein subjektives »Gedächtnisbild« des verschwundenen Ortes Eythra erzeugt.

Eythra war eine Ortschaft südlich von Leipzig mit einer fast 1.000-jährigen Besiedlungsgeschichte. Das gesamte Dorf musste dem Braunkohlebergbau weichen und wurde überbaggert. 1982 begann die Aussiedlung der Einwohner, über 60% zogen in Plattenbauten nach Leipzig. 1998 kam der Tagebau zum Erliegen. Die Fläche von Eythra befindet sich heute im Zwenkauer See, der im Tagebaurestloch entstanden ist.

Flüchtig betrachtet scheinen die fünf klassischen Portraits Fotografien zu sein. Unerwartet und in unregelmäßigen Abständen lösen sich die Personen aus dem Standbild und führen feine und langsame Bewegungen durch: ein tiefes Durchatmen, ein Drehen des Kopfes oder ein Abwenden des Blicks. Innerhalb eines Rahmens wechseln die Personen in weichen gemorphten Übergangen. Das Standbild manifestiert die zum Bild erstarrte Erinnerung und das langsame Vergessen. Die Slow-Motion-Bewegungen der Portraits spiegeln die verklärte Vergangenheit wider, während die Echtzeit-Sequenzen die lebendige Erinnerung assoziieren.

Mehrere im Raum angebrachte Boxen erzeugen einen Klangteppich, in dem sich die weiblichen und männlichen Stimmen akustisch überschneiden. Beim Herantreten werden sie herausgelöst und es wird ein Dialog von Interviewausschnitten wahrnehmbar. Es sind freudige Erinnerungen an Personen, Ereignisse und den Ort Eythra aber auch Ausdruck von Wut und Trauer über den Verlust oder prägende Erlebnisse.

»In her video installation Born in Eythra, Angelika Haak merges art with oral history. Her work looks at how opencast mining has caused whole communities to disappear, and at how this has forced a centuries old cultural landscape to uproot itself and move elsewhere. Ask anyone who lived East Germany about the things they remember most, and you’re likely to hear about lon queues at the HO, shopping in Intershop, simple childhoods spent running aroung outdoors, holidays on the Baltic coast, and the tiled stovest that used to heat homes in the winter. Almost all of the GDR’s enery supply came from fossil fuels. The demand was enormous, since it wasn’t just private households that needed the fuels for heating – the country’s entire heavy industrie and infrastructure was powered with energy from black coal and lignite mined in the GDR. Today, the numerous cavities left by now-defunct opencast mines testify tot he overexploitation that wiped whole communities off the map. Haak explores this subject by photographing 12 former sesidents of Eythra, a village that uses to exist just outside Leipzig, and by including their words in her installation. The faces, which at first seem to be frozen, move in a way reminiscent oft he subjective experience of remembering. Audio stations allow us to hear about rhe residents’ experiences, which helps us to identify more closely with the group. The result is that their happy memories, their grief, their anger and their frustration become, to us, part of an intense experience of communicative memory.«
Stephan Frank, Catalogue Ostrale ‘O13

The work »Born in Eythra« traces the interplay of memory, loss, identity and rootedness. In the video sequences people are portrayed whose birthplace has irrevocably disappeared and who have experienced a kind of uprooting. The place Eythra exists only in the memory and is alive again about the narrated. In the juxtaposition of the video portraits and the spoken memories and narratives, a subjective »memory image« of the disappeared place Eythra is generated.

Eythra was a village south of Leipzig with a nearly 1,000-year settlement history. The entire village had to give way to lignite mining and was dredged. In 1982, the resettlement of the inhabitants began, over 60% moved to prefabricated buildings in Leipzig. In 1998, the opencast mine came to a standstill. The area of ​​Eythra is today in the Zwenkauer lake, which was created in the opencast mining hole.

Fleetingly, the five classical portraits seem to be photographs. Unexpectedly and at irregular intervals, the persons release themselves from the still image and perform fine and slow movements: a deep breathe, a turning of the head or a turning away of the gaze. Within a frame, people change into soft morphed passages. The statue manifests the image frozen into memory and the slow forgetting. The slow-motion movements of the portraits reflect the transfigured past, while the real-time sequences associate the living memory.

Several boxes mounted in the room create a sound carpet in which the female and male voices overlap acoustically. As they approach, they are detached and a dialogue of interview excerpts becomes perceptible. These are happy memories of people, events and the place Eythra but also an expression of anger and grief over the loss or formative experiences.